Gesetzliche Rente für alle statt Privatisierung und Kapitaldeckung

Über die umlagebasierte gesetzliche Rente wurde schon viel geredet, gejammert, gedacht und geschrieben. Im Kern drehen sich die allermeisten Reformdebatten um drei Fragen. Wie und in welchem Umfang soll der von den Erwerbstätigen geschaffene gesellschaftliche Wohlstand für die Versorgung der Alten (um-)verteilt werden? Und wie kann das Rentensystem soziale Gerechtigkeit gewährleisten? Mit diesen Fragen setze auch ich mich seit vielen Jahren politisch und analytisch-wissenschaftlich auseinander. Beispielsweise im Rahmen meiner Bildungsarbeit, in der Hochschullehre und während meiner Potsdamer Studienzeit durch politische Anträge, Initiativen und Veranstaltungen. Am Silvestertag hat der »Freitag« nun einen ersten journalistischen »Renten-Beitrag« von mir erstveröffentlicht. Er enthält natürlich ein kleines Plädoyer für die »Gesetzliche Rente«.

Gerechtigkeit heißt: Gesetzliche Rente für alle statt Privatisierung und Kapitaldeckung

Rentenpolitik: Die Launen der Finanzmärkte machen die Altersvorsorge nicht sicherer. Die geplante Aktienrente ist ein Irrweg und sollte lieber einer für alle Bürger*innen gedachten Rentenversicherung Platz machen.

Alle Jahre wieder sucht ein unbeugsamer Reformgeist die deutsche Rentenpolitik heim. Er scheint keine Ruhe geben zu wollen, wie auch die dahinter stehenden kapitalstarken Interessen keine Ruhe zu geben scheinen. Immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Profite für die Kapitalseite und damit für Wenige zu steigern. Allen Finanzkrisen, allen Börsenturbulenzen, allen fragwürdigen und bisweilen klar gescheiterten Reformen, allen historischen Erfahrungen, allen sozialen Verwerfungen und Ungerechtigkeiten zum Trotz. Sein Spuk kommt immer wieder. Geschickt und verführerisch passen sich das politische Framing, die Argumentationslinien und Reformvorschläge immer wieder an – ohne jedoch den Wesenskern ihrer Zielrichtung zu verändern. Auch für 2023 hat er sich wieder angekündigt. Die Rede ist vom Reformgeist der Privatisierung und Kapitaldeckung der Rente.

Ein kurzer Rückblick auf 20 Jahre Rentenprivatisierung

Schon vor zwei Jahrzehnten haben SPD und Grüne mit noch lautstärkerer Unterstützung durch CDU/CSU und FDP und nach intensivster Lobbyarbeit von interessierten Kreisen in Wirtschaft, Medien und Gesellschaft die gesetzliche Rente massiv gekürzt und mit »Riester« und Co. eine kapitalmarktbasierte Teil-Privatisierung der Altersvorsorge eingeleitet. Seitdem jagte eine Reform der Reform und eine »Betriebsrentenstärkung« die nächste. Regelmäßig ging es darum, die Kapitalmarktmodelle attraktiver zu machen oder zu retten. Neben verlockend klingenden Renditeversprechungen sollten vor allem hohe staatliche Zuschüsse die Beitragszahlenden davon überzeugen, dass am eigenen Profit ausgerichtete Privatanbieter eine bessere und krisenresistentere Rente bieten können als die seit Mitte des letzten Jahrhunderts erprobte Solidargemeinschaft des deutschen Staates im Umlageverfahren.

Die Realität ist jedoch eine völlig andere. Die »Riesterrente« ist gescheitert und die »Betriebsrente« für Arbeitnehmer*innen oft nur dann vorteilhaft, wenn sie auf kräftige Zusatzbeiträge ihrer Chefs und weniger auf Entgeltumwandlungen basiert. Die Anzahl der Alten nimmt ebenso zu wie die Altersarmut und die ungerechte Vermögensverteilung. Stetig wächst das Kapital, für das händeringend und bisweilen vergeblich nach guten Anlagemöglichkeiten gesucht wird, während Pensionsfonds immer mächtiger werden und Börsen zum Beben bringen können. Multiple Krisen setzen die Sozialsysteme unter Druck. Gleichzeitig befindet sich das internationale Finanz- und Wirtschaftssystem im Wandel – mit offenem Ausgang. Auch die Frage, wie die Renten am besten zu finanzieren sind, verschwindet nicht. Und keine »Kapitaldeckung« der Welt kann Fachkräfte herbeizaubern, um ältere Menschen im Austausch für ihre Wertpapiere mit Waren und Dienstleistungen zu versorgen. Diese – zugegeben etwas pointierten – Feststellungen allein zeigen schon, dass die Privatisierung der Rentenrisiken und die Hoffnung auf erfolgreiche Finanzspekulationen ein marktradikaler Irrsinn sind.

Was erwartet Deutschland 2023?

Deutschland wird mit zunächst 10 Milliarden Euro in die »teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen«, wie es SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag (S. 57) vereinbart und vor kurzem auch beschlossen haben. Und danach wollen sie »das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren« (S. 58) – in Richtung einer standardisierten »Aktienrente«. Diesmal ruhen die Hoffnungen voll und ganz auf Aktien und andere Anlageprodukte. Langweilige Banksparpläne oder andere »Riester«-Modelle mit Auszahlgarantien waren gestern. »Fortschritt« und »Gerechtigkeit« verspricht die SPD-geführte Ampelregierung diesmal mit riskanten Aktienwetten und einem mächtigen deutschen Pensionsfonds, der breit und global gestreut die Beiträge investieren soll, die über ein möglichst standardisiertes Kapitalmarktprodukt eingesammelt werden.

Doch das muss nicht so kommen. Die Koalition könnte sich auch einen Ruck geben. Sie könnte die Probleme endlich einmal an der Wurzel packen und insoweit eine viel sinnvollere Reformidee ernsthaft und lösungsorientiert aufgreifen: den Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung in eine für alle Gruppen gedachte Rentenversicherung, in die neben abhängig Beschäftigten auch Selbstständige, Beamt*innen und Politiker*innen in Abhängigkeit von ihrem Einkommen einzahlen. Selbstverständlich sollten dann nicht die Menschen vergessen werden, die so reich sind, dass sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen müssen, weil sie allein von ihrem Einkommen aus Kapitalbesitz leben können. Vermutlich wird die Partei »Die Linke« als einzige demokratische Fraktion im Deutschen Bundestag wesentliche Aspekte einer solchen universellen Rentenversicherung auf Basis des Umlageverfahrens aufgreifen und entsprechende Gesetzesvorschläge in den Deutschen Bundestag einbringen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass sich solche Ansätze erneut nicht durchsetzen lassen. Zumal es keinerlei spürbaren gesellschaftlichen Druck in diese Richtung gibt. So könnte die dominierende Mehrheit in der deutschen Bundespolitik wieder einmal dem beharrlichen Ruf der Kapitalmarktgläubigen folgen und den Weg der Privatisierung und Kapitaldeckung unbeirrt weitergehen.

Ein kurzer Blick nach Österreich

Die Debatten zur Rentenprivatisierung und Kapitaldeckung haben in den letzten zwei Jahrzehnten zwar auch vor Österreich nicht Halt gemacht. Doch die gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse führten bisher dazu, dass Deutschlands südlicher Nachbar einen anderen Weg gegangen ist. Österreich hat die gesetzliche Rente, die dort »Pension« heißt, gestärkt und lässt alle Erwerbstätigen in das Umlageverfahren einzahlen. Auch profitierte das System von einer hohen Zuwanderung von Fachkräften und bisher selbstverständlichen Zuschüssen aus dem Staatshaushalt. Das Ergebnis: Die Renten sind dort deutlich höher und sicherer bei gleichzeitig überschaubaren Beiträgen. Freilich ist das österreichische Pensionssystem nicht problemfrei. Auch dort werden einzelne Stellschrauben reformiert werden müssen. Doch im Vergleich zu Deutschland befinden sich die dortigen Debatten um Probleme und notwendige Reformen zurzeit auf einem ganz anderen Niveau. Das Entwicklungsland bei der gesetzlichen Rente für alle ist ganz klar Deutschland.

Erstveröffentlicht in: derFreitag [Weblog], 31.12.2022.

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