»Die Rente ist sicher«

Viele der heutigen Rentner*innen und Erwerbstätigen können sich noch gut an den Wahlkampfslogan »Die Rente ist sicher« erinnern. Er wird stets mit dem Namen von Norbert Blüm (*1935) verbunden bleiben, der während der Kanzlerschaft Helmut Kohls zwischen 1982 und 1998 Arbeits- und Sozialminister war. Für seinen Ausspruch erntet Blüm bis heute viel Häme und Spott, in den letzten Jahren bisweilen aber auch wohlwollende Aufmerksamkeit. Denn viel zu selten wird in den endlosen Debatten um Altersarmut auf die Vorteile des staatlichen Umlageverfahrens hingewiesen. Dabei ist angesichts der weltweiten Finanzsystemkrise und Niedrigzinspolitik keine andere Methode krisensicherer und zugleich vergleichsweise renditestark.

Ursprungsversion 1986: »denn eins ist sicher: Die Rente«

Das geflügelte Wort geht auf eine Werbe- und Informationskampagne der Bundesregierung vom Frühjahr 1986 zurück. Damals stand der Bundestagswahlkampf unmittelbar bevor und die zukünftige Finanzierung der gesetzlichen Rente kam nicht aus dem Fokus kontroverser Debatten. Vor diesem Hintergrund wollte Sozialminister Blüm die Bevölkerung beruhigen und um Vertrauen in die umlagefinanzierte Rentenversicherung und seine Reformideen werben. Berühmt wurden die Fotos, auf denen der CDU-Politiker fröhlich lächelnd als Plakatekleber vor einer Litfaßsäule posiert. Das war am 21. April 1986 auf dem Marktplatz zu Bonn, der damaligen Hauptstadt der alten BRD. Auf den deutschlandweit verbreiteten 15.000 Plakaten stand in großen schwarzen Lettern geschrieben: »denn eins ist sicher: Die Rente«[1].

Angesichts einer alternden Gesellschaft, viel zu geringer Bundeszuschüsse trotz wachsender »rentenfremde[r] Leistungen«[2] und der fehlenden politischen Bereitschaft zur Abschöpfung von Technisierungsgewinnen[3] oder zur Ausweitung der Versicherten- und damit auch der Beitragszahlerbasis im oberen Einkommensbereich[4], schien es, wenn sich nichts bewegte, wie so oft nur zwei Optionen zu geben: deutliche Senkung des Rentenniveaus oder Beitragserhöhungen. Beides stellten höchst unpopuläre Maßnahmen in Wahlkampfzeiten dar, zumal seit Amtsantritt 1982 bereits kräftig an der Beitragsschraube gedreht worden war. Insoweit ist es erklärbar, dass sich Blüm, einer der letzten prominenten Vertreter der katholischen Soziallehre in der CDU, »als Anwalt der Schwächeren in dieser Regierung«[5] zu inszenieren versuchte. Mit welchem Erfolg und welcher Glaubwürdigkeit ihm das gelang sei dahingestellt.

Das Zitat im Kontext 1997: »Die Rente ist sicher«

Gesetzliche Ausgestaltungen des Rentensystems sind stets langfristig angelegte soziale Maßnahmen, welche in unterschiedlicher Ausprägung alle Generationen tangieren[6]. Sie bieten daher regelmäßig Anlass für einen bisweilen hitzigen politischen Schlagabtausch zur sozialen Gerechtigkeit im Allgemeinen und zur Zukunft der Rente im Besonderen.

Das war 1997 nicht anders[7]. Mit Blick auf die Bundestagswahl 1998 wollte sich die SPD als sozialer Anwalt der Jungen, Arbeiter*innen, Angestellten und Rentner*innen profilieren und insofern Leistungskürzungen verhindern. Demgegenüber wollte die schwarz-gelbe Bundesregierung mit ihrem so genannten »Rentenreformgesetz 1999«[8] Lösungskompetenz und Verantwortungsbewusstsein demonstrieren. Ihr Vorschlag lief im Wesentlichen auf Kürzungen hinaus. Er beinhaltete einen »demographischen Faktor« und die Absenkung des »Rentenniveaus« von 70 auf 64 Prozent[9], aber auch eine Beitragssatzsenkung[10], die mittels einer Mehrwertsteuererhöhung finanziert werden sollte. »Beitragssatzstabilität«, d. h. die Verhinderung eines weiteren Anstiegs des Rentenbeitragssatzes, trat an die Stelle des Prinzips der Lebensstandardsicherung. Oppositionspolitiker*innen kritisierten das letztendlich in namentlicher Abstimmung beschlossene Gesetz als »unsozial«. Zentrale Ursachen der leeren Rentenkassen waren weniger demografischer Natur, sondern wurzelten zu dem Zeitpunkt vor allem:

  • in der hohen Massenarbeitslosigkeit,
  • im Defizit der Rentenversicherung in den neuen Bundesländern aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs
  • in der ordnungspolitisch fehlgeleiteten Finanzierung der Wiedervereinigung über die Sozialsysteme.

Rechtfertigend betonte der für das Gesetzesvorhaben zuständige Minister Blüm[11]:

Es gilt der Satz – zum Mitschreiben –: Die Rente ist sicher.

Die als realitätsfremd bewertete Aussage wurde mit lautem Lachen in den Oppositionsreihen von SPD, Bündnis90/Grüne und PDS quittiert. Das wiederum veranlasste Blüm, metaphernreich zu kontern:

Sie können nur lachen. Aber wenn Sie die Hände in den Schoß legen und nichts machen, dann ist sie unsicher. Ich wiederhole: Die Rente ist sicher. Aber sie fällt nicht vom Himmel. Sie ist kein Weihnachtsgeschenk. Sie wächst nicht wie das Gras. Sie ist weder ein Wunder noch ein Naturprodukt. Sie ist Handlungsauftrag. Wir handeln, Sie reden. Das ist der Unterschied.

Was bedeutet »sicher«?

Eine Antwort auf die Frage, was bei Blüms Rentenversicherung eigentlich »sicher« sein soll, muss aufgrund der semantischen Unklarheit kontextabhängig sein. Im Alltagsverständnis gehen viele Menschen davon aus, dass Rentensicherheit gleichbedeutend mit Lebensstandardsicherung sei, also dass die Höhe ihrer Rente jederzeit vollkommen ausreiche, um den am Ende des Erwerbslebens erzielten Lebensstandard auch im Alter finanzieren zu können. Die Zukunft soll diesbezüglich so weit es geht planbar sein. Wer optimistisch und unkritisch war, der glaubte natürlich Blüms großmundigem Versprechen. Vor dem Hintergrund der vielen als »Reform« bezeichneten Leistungskürzungen und zusätzlichen finanziellen Belastungen, vor allem im Zuge der forcierten Teilprivatisierung der Rente unter Blüms Nachfolgern seit 2000, musste er aber bitter enttäuscht werden – trotz einiger Verbesserungen, die es auch gab. »Die Rente ist sicher« klang in den Ohren der auf eben diese Rente angewiesenen Menschen zynisch, nach Arroganz eines Überprivilegierten, der sich um seine eigenen Ruhestandsbezüge keinerlei Sorgen machen muss, nach arger Wählertäuschung.

Später redete sich Blüm oft mit dem Hinweis heraus, dass sich sein Ausspruch nicht auf eine konkrete Rentenhöhe bezogen haben soll. Vielmehr wolle er so verstanden werden, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Rente im krassen Gegensatz zur kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge solide und krisenfest sei. Die dahinter steckende Logik ist bestechend und trivial zugleich: Staat, Steuern und Beitragsaufkommen gibt es immer. Insoweit können staatliche Renten prinzipiell auch immer bezahlt werden; lediglich die Höhe kann schwanken. Demgegenüber sind private Renten von der jahrzehntelangen Existenz, der Bonität, den Kapitalmarktrenditen und den Profitinteressen ihrer Anbieter sowie von der Sicherheit und Qualität der Anlageprodukte abhängig. Die jüngste Finanzkrise hat diesen Zusammenhang nur zu gut unter Beweis gestellt, was führende Eliten aufgrund eigener Interessenverflechtungen geflissentlich ignorieren.

Endnoten

[1] Vgl. z. B. Abb. 2 bei Joachim Zinsen (2014): Norbert Blüm – »Die Rente ist den Finanzhaien ausgeliefert worden«. [Onl. im Int.] In: Aachener Zeitung, 14.01.2014 [Abruf: 14.09.2016].

[2] Vgl. Spiegel (1986): Schlimme Summen. Streit in der Union über die Sanierung der Renten: höhere Beiträge oder Staatsgelder. In: DER SPIEGEL, Nr. 6, S. 28 [Abruf: 14.09.2016].

[3] Die Diskussion lief unter dem Schlagwort »Maschinensteuer«. Vgl. Dieter Kampe (1986): Die Maschine muß zur Kasse. In: DER SPIEGEL, Nr. 22, S. 84 [Abruf: 14.09.2016].

[4] Im Zeitalter des beginnenden marktradikalen Umschwungs sollten vielmehr gerade die Spitzenverdiener*innen und Vermögenden entlastet und aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für die Finanzierung der öffentlichen Haushalte ein Stück weit herausgenommen werden. Dadurch erhofften sich die Befürworter*innen eine erhöhte Investitionstätigkeit und positive Effekte auf dem »Arbeitsmarkt«. Ein Irrglaube.

[5] Jürgen Leinemann (1986): Alles mit ganzem Herzen, aber nichts ganz. In: DER SPIEGEL, Nr. 4, S. 24–27 [Abruf: 14.09.2016].

[6] Einen sehr guten Überblick über »[d]ie wesentlichen Änderungen im Bereich der Rentenversicherung seit 1978« bietet Johannes Steffen (2016): Sozialpolitische Chronik. Die wesentlichen Änderungen in der Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie bei der Sozialhilfe (HLU) und der Grundsicherung für Arbeitsuchende – von den siebziger Jahren bis heute. [Onl. im Int.] Berlin: Portal Sozialpolitik, Aug. 2016, S. 34ff [Abruf: 14.09.2016].

[7] Vgl. dazu das Plenarprotokoll 13/198 des Deutschen Bundestages v. 10.10.1997, S. 17847–17888. Zugl. [Onl. im Int.] Berlin: Deutscher Bundestag [Abruf: 14.09.2016].

[8] Vgl. Bundestags-Drucksache 13/8011 i. V. mit der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, Bundestags-Drucksache 13/8671, v. 02.10.1997. Zugl. [Onl. im Int.] Berlin: Deutscher Bundestag [Abruf: 14.09.2016].

[9] »Rentenniveau« ist eine definierte Norm und meint das Verhältnis einer »Standardrente« mit 45 Entgeltpunkten zum Durchschnittseinkommen des jeweiligen Jahres.

[10] In wirtschaftsliberaler Logik ging es um die Senkung der »Arbeitskosten«, also des »Arbeitgeberbrutto« genannten Gesamtlohnes für eine*n Arbeiter*in.

[11] Folgende Zitate: Plenarprotokoll 13/198 des Deutschen Bundestages v. 10.10.1997, S. 17872 D.

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