Finanzkrisen, Vertrauenskrisen und der Aufstieg des Rechtspopulismus

Finanzkrisen, Vertrauenskrisen und der Aufstieg des Rechtspopulismus. Dreieinig sind sie, nicht zu trennen? Auf diese formelhafte These könnte man in Anspielung auf einen Ausspruch, den Dichterfürst Goethe Mephisto in seinem »Faust« (II. Teil, 5. Akt) sagen lässt, durchaus kommen. Jedenfalls belegt eine jüngst veröffentlichte Studie deutscher Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler die eingangs erwähnte These historisch-empirisch für die Zeit zwischen 1870 und 2014, also bis zur aktuellen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise.

Lesefutter für Wissbegierige

Die wissenschaftliche Studie:

Funke, Manuel; Moritz Schularick; Christoph Trebesch (2015): Going to Extremes. Politics after Financial Crises, 1870–2014 (= CEPR Discussion Paper Nr. 10884). [Online im Internet] London: Centre for Economic Policy Research, 10.2015 [Abruf: 15.04.1016].

Geraffter Ergebnisaufsatz:

Funke et al. (2015): The political aftermath of financial crises: Going to extremes. [Online im Internet] In: VoxEU.org [Weblog v. CEPR], 21.11.2015 [Abruf: 15.04.2016].

Zwei lesenswerte Zeitungskommentare zum Phänomen des Rechtspopulismus:

Fricke, Thomas (2016): Schaut auf die Banken. [Online im Internet] In: SPIEGEL Online, 15.04.2016 [Abruf: 15.04.2016].

Seesslen, Georg (2016): Gewinner, die Verlierer führen. [Online im Internet] In: taz.de, 27.03.2016 [Abruf: 15.04.2016].

Meine Anmerkungen

Auch in der heutigen Finanzkrise, die noch immer nicht überwunden ist, verschärfen sich die bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten nur noch mehr. Die durch politische Entscheidungen beeinflussbaren Auswirkungen der ursprünglichen Finanzkrise sind je nach Staat zwar verschieden, mitunter aber in ihrer Katastrophalität nur graduell. In der Tendenz gilt der Befund: Die Reichen und zumeist auch die Krisenverursacher*innen sind die Profiteure der »Rettungspolitiken«; die Verantwortlichen aus Politik und Finanzwelt werden i. d. R. kaum oder nicht zur Rechenschaft gezogen (in dieser Frage mag der kleine isländische Inselstaat z. Z. eine Ausnahme sein). Auf der anderen Seite bekommt die breite Masse (»die 90 Prozent«) der Bevölkerung die Krisenlasten aufgebürdet. In der Europäischen Union und in den USA werden Banken, Versicherungen, Spekulant*innen und Hedgefonds gerettet, während viel zu viele Menschen zusehends verelenden oder sehenden Auges durch hochpolitische Entscheidungen von (Zentral-)Bankvertreter*innen, Spitzenpolitiker*innen und Konzernlenker*innen ihrer Existenzgrundlagen und Zukunftsperspektiven beraubt werden: Massenentlassungen, Lohn- und Rentenkürzungen, Kürzungen im Sozial- und Bildungssystem, Zerschlagung des Tarifsystems, Verramschung öffentlichen Besitzes und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen etc. pp.

Deutschland hatte Glück, wenn es in der Gesamtschau noch vergleichsweise gut und wohlhabend da steht, u. a. auch, weil dessen Banken und Regierungen von den europäischen »Rettungsmaßnahmen« profitierten. Richtig, am extremsten wird die soziale Ungerechtigkeit der Verteilung der Krisenlasten deutlich, wenn man z. B. nach Griechenland, Spanien oder Portugal schaut. Doch auch die Deutschen erleben – nur auf anderem Niveau und anders akzentuiert – die Folgen einer Politik, die viele als sozial hochgradig ungerecht empfinden: seit Jahren stagnierende Reallöhne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse trotz guter Ausbildung, extrem hohe und sogar zunehmende Vermögensungleichheit im Vergleich der Industrieländer, das gewollte Festhalten am Absenken des gesetzlichen Rentenniveaus und an weiterer Privatisierung, Investitionsstau bei Bildung und öffentlicher Infrastruktur etc. pp. Frei nach Papst Franziskus: Austeritätspolitik tötet.

Die Diskrepanzen zwischen Arm und Reich, zwischen »Volk« und Eliten spitzen sich dramatisch zu. All das schürt soziale Unruhen. Es kommt zu tief greifenden und umfassenden Vertrauenskrisen in Politik, Finanzwelt, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft. Den Menschen dämmert es, dass es wohl nicht mehr länger entschuldbare Systemfehler geben muss. Offenbar sind »die Märkte« gar nicht so effizient, wie es ihnen jahrelang weis gemacht wurde. Offenbar wird man nicht durch hartes Arbeiten reich. Stattdessen werden die Reichen immer reicher und die Armen immer mehr und das vor, während und nach der Finanzkrise. Sie fragen sich, ob die real existierende Verteilungspolitik trotz Wahlen wirklich so »alternativlos« sein soll wie es gerne behauptet wird.

Laut der Studie von Manuel Funke et al. (2015) radikalisiere sich die Gesellschaft, was zu einer Fragmentierung der Parteienlandschaft führe, die erstaunlicherweise eher nach rechts als nach links außen rücke. Gerade Finanzkrisen scheinen der Nährboden zu sein, auf dem rechte Ideologien, einfache Weltbilder, widersprüchliche Heilslehren, absurde Theorien, Rassismus, Nationalchauvinismus sowie gewaltbereiter Hass auf falsche Sündenböcke wie Minderheiten, Migrant*innen und generell alles Andere prächtig gedeihen – auch in den akademisierten Teilen der »Mittelschicht«. Bei nicht originär finanzcrashbedingten Wirtschaftskrisen sei das nach Funke et al. (2015) nicht der Fall.

Und in der Tat: Es ist ein international beobachtbares Phänomen, ob in Europa oder in den USA, dass ein neuer Rechtspopulismus aktuell regen Zulauf bekommt. Politikwissenschaftlich als »rechts« zu klassifizierende Gruppierungen wie der »Front National« in Frankreich, die »AfD« in Deutschland, die »Tea Party« oder der republikanische Präsidentschaftsbewerber Trump in den USA scharen neben ihrer ohnehin vorhandenen Stammklientel eine beachtliche, bisweilen mehrheitsrelevante Zahl an Krisenverlierer*innen, Frustrierten, Entwurzelten, Orientierungslosen und von Existenz- und Zukunftsängsten geplagten Menschen um sich. Interessanterweise stammen viele führende Rechtspopulist*innen nicht selten selbst aus den oberen gesellschaftlichen Kreisen, verfügen über Millionen oder Milliarden, sind Unternehmer*innen oder staatlich gut versorgte Professor*innen – alle vereint im Glauben an das »Geld« und im Hoffen auf politische Macht, wie Georg Seesslen (2016) zu berichten weiß.

Zugegeben, auch linksalternative Krisennarrative und Kapitalismuskritik erleben vermehrten Zuspruch in akademisierten Kreisen. Für viele kritisch denkende Geister scheinen sie jedenfalls realitätsnäher zu sein als die durch die Wucht der Krise offensichtlich falsch liegenden finanzmarkt-naiven Repräsentant*innen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Protestbewegungen wie »Occupy Wall Street« entstehen, erreichen große mediale Beachtung… lösen sich wieder auf und verschwinden aus der öffentlichen Berichterstattung. Andere erobern die Parlamente und versuchen sich an Reformen. Bemerkenswerte empirische Beispiele sind die jüngsten linken Wahlerfolge in Griechenland (»Syriza«), Spanien (»Podemos«) und Portugal (Mitte-Links-Regierung), die Wahl des Hinterbänklers Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der britischen Labour-Partei oder die beachtlichen Stimmengewinne, die der selbst erklärte »Sozialist« und Präsidentschaftsbewerber der Demokraten in den USA, »Bernie« Sanders, bei Menschen insbesondere jüngeren und mittleren Alters einfährt. Allerdings liegen die Jahre 2015/16 auch außerhalb des Untersuchungszeitraumes der drei Wissenschaftler. Sie ändern nichts an ihrem Befund der Radikalisierung, des »Populismus« und der Umkrempelung des bisherigen Parteiensystems.

Die Zukunft wird von Menschen gemacht

Man kann die Studie von Funke et al. neben ihrer wissenschaftlichen Relevanz durchaus auch zum Anlass nehmen, aus der Vergangenheit zu lernen und die Herausforderungen der jüngsten Finanzkrise ab jetzt anders anzugehen als bisher. Da Zukunft stets menschengemacht und Vieles theoretisch neu gestaltbar ist, haben alle, die den Status Quo der Krisenbewältigung als unbefriedigend wahrnehmen, auch die Wahl – im Großen wie im Kleinen: Soll es ein mehr oder weniger verteilungspolitisches »Weiter-So« bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Gefolge rechtspopulistischer Parteien geben oder wird auf eine soziale und gemeinwohlorientierte und solidarische und demokratische Alternative hingearbeitet? Eine bessere Zukunft ist möglich!

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