Lehrbücher unter der Lupe: Geldtheorie und populäre Mythen

Die Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre stehen in der Kritik. Als Beitrag zur sozioökonomischen Lehrbuchforschung halte ich an der Universität Siegen einen Fachvortrag über geldtheoretische Darstellungen und Mythen. Ich freue mich, dass mein Themenvorschlag für die Konferenz »Alternativen ökonomischer Lehre und Forschung« überzeugen konnte. Der Siegener Fachbereich »Plurale Ökonomik« und der »Arbeitskreis Politische Ökonomie« veranstalten sie vom 23. bis 25. November 2017. Noch mehr freue ich mich aber auf eine rege Diskussion und auf viele Anregungen. Zur Einstimmung darauf dokumentiere ich meinen nur unwesentlich überarbeiteten Abstract.

Geldblindheit der Lehrbücher – Krisenblindheit der Gesellschaft

»Why did nobody see it coming?« Mit dieser kurzen, knackigen Frage traf die britische Königin unmittelbar nach dem globalen Finanzsystemcrash den wunden Punkt des ökonomischen Mainstreams. Die akademische Prominenz des kapitalistischen »Westens« stand 2008 zunächst sprachlos herum. Führt man sich allerdings die inhaltlich-theoretische und methodische Leere vor Augen, die es in der hiesigen Mainstreamökonomie bei fundamentalen Fragen des Geld- und Finanzsystems gibt, dann darf das nicht weiter verwundern.

Die mathematisierten und idealisierten Modelle, die nahezu alle Wirtschaftsstudierenden sakrosankt eingetrichtert bekommen, haben sich für die Beschreibung einer immer komplexer werdenden »Geldwirtschaft« und ihrer systemischen Risiken als untauglich erwiesen. Dennoch dominieren in der universitären Volkswirtschaftslehre und schulischen Wirtschaftskunde bis heute ahistorische Fantasiemodelle. Diese gehen beispielsweise vom originären Tauschhandel und reinen Warengeld aus, weswegen »Geld« als neutral und vernachlässigbar anzusehen sei. Obwohl das »Geldmultiplikatormodell« den real existierenden Gegebenheiten in keinem Praxistest standhält, ist auch dieses noch immer weit verbreitet. Warum Zentralbanken trotz ihrer geldpolitischen Zuständigkeiten und ihrer immensen exekutiven Macht »unabhängige« apolitische Akteure sein sollen, ist nicht nachvollziehbar. Über die zunehmende Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und neue internetgestützte Finanzplattformen schweigen sich die Mainstreamdarstellungen weitestgehend aus. Wenn in einer solchen realitätsfernen Welt auch noch Banken als Finanzintermediäre statt als eigentliche Taktgeber der Geldemission wahrgenommen werden, dann fehlt das Gespür für die kreditgeldgetriebene Verstärkung von »Boom-Bust-Zyklen« und die damit einhergehenden sozioökonomischen Verwerfungen völlig.

Zielstellung und Methodik

In Deutschland beherrschen zwei marktideologisch geprägte Lehrbücher den theoretischen und methodischen Kanon. In »Volkswirtschaftslehre« sind es Mankiw und Taylor, im Bereich »Makroökonomie« Blanchard und Illing, die nahezu unangefochten den Ton angeben. Raum für selbstständiges, kritisches Denken und Abwägen alternativer Erklärungsansätze und Herangehensweisen bieten sie kaum. Doch gerade solche Mainstreamökonom*innen spielen eine höchst einflussreiche Rolle in der Politikberatung. Bisweilen pflegen sie sogar eine Aura der unfehlbaren Zukunftsprognose und religiös anmutenden Orthodoxie. Deshalb ist es zentral, sich den Themen Geldblindheit und Geldmythen in den volkswirtschaftlichen Standardlehrwerken eingehender zu widmen.

Mein Fachvortrag analysiert und kritisiert daher ausgewählte geldtheoretische Darstellungen und Denkmuster bei Mankiw/Taylor sowie Blanchard/Illing. Indem ich die entsprechenden Kapitel der jeweiligen Ausgabe von 2008 mit derjenigen von 2016 vergleiche, lassen sich Aussagen darüber treffen, inwieweit die Autoren nach dem letzten Finanzsystemcrash ihre Inhalte realitätsnäher überarbeitet oder falsche Dogmen einfach fortgeschrieben haben. Um Alternativen zum Mainstream aufzuzeigen, gehe ich kurz auf das volkswirtschaftliche Einführungswerk von Bofinger (2015) und das Schülerbuch der Deutschen Bundesbank (2015) ein.

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