Mein Blick auf eine »neue Militärgeschichte«

»Neue Militärgeschichte«, was ist das eigentlich? Zu dieser grundlegenden Frage sind schon viele Bücher geschrieben worden. Ich möchte die Verleihung des Wilhelm-Deist-Preises zum Anlass nehmen, kurz ein paar Gedanken zu meinem eigenen persönlichen Zugang zu dieser geschichtswissenschaftlichen Subdisziplin zu reflektieren, zumal ich bei zwei ihrer Pioniere studiert hatte.

Eine »neue Militärgeschichte« entsteht

Eine sozialwissenschaftlich orientierte »neue Militärgeschichte« – und damit eine Annäherung an englisch- und französischsprachige Forschungstendenzen – bildete sich in Deutschland erst in den letzten etwa 25 bis 30 Jahren heraus. Die Gründe dafür sind sehr vielschichtig. Im Rahmen der inhaltlich-methodischen Vorbetrachtungen meiner Magisterarbeit habe ich sie unter besonderer Berücksichtigung des maritimen Gesichtspunktes eingehender diskutiert.

Jedenfalls, zwei meiner vormaligen militär- und sozialhistorischen akademischen Lehrer an der Universität Potsdam waren maßgeblich daran beteiligt, eine kritische, methodenplurale und in gesellschaftlich-soziale Kontexte eingebettete »neue Militärgeschichte« in der deutschsprachigen Forschungslandschaft zu etablieren: Prof. em. Dr. Bernhard R. Kroener sowie Prof. Dr. Ralf Pröve. Diese Wissenschaftsrichtung brach bewusst mit höchst bedenklichen Traditionslinien und Geschichtspolitiken einer »Kriegs-« oder »Wehrgeschichte«, historisierte und untersuchte diese vielmehr kritisch. Ebenso stellten Vertreter*innen überkommene theoretische Konzepte, Begrifflichkeiten und eindimensionale Ansätze in Frage. Die Perspektiven auf und Herangehensweisen an den Untersuchungsgegenstand fächerten sich breit auf.

Mit vielen Mitstreiter*innen gründeten Kroener und Pröve den »Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit«, den sie fortan viele Jahre als Vorsitzende repräsentierten. Der AK ist neben dem epochenübergreifenden »Arbeitskreis Militärgeschichte« das zweite bedeutende militärhistorische Fachnetzwerk. Trotz solcher Initiativen fristen an deutschen, österreichischen und schweizerischen Universitäten militärhistorische Themen institutionell ein Nischendasein. Um ein Vielfaches stärker trifft das auf maritime Fragestellungen zu.

Außerdem baute Kroener mit seinem Team in Potsdam die einzige zivile deutsche Professur für »Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt« auf. Ich war u. a. regelmäßiger Besucher seiner Vorlesungsreihe zu Militär und Gesellschaft und seiner Forschungskolloquien. Nach Kroeners Emeritierung 2013 gab es zunächst eine Vertretung, bevor schließlich der international anerkannte und medial bekannte Prof. Dr. Sönke Neitzel berufen wurde. Der Frühneuzeitler Pröve verantwortet mittlerweile am Historischen Institut den neuen Arbeitsbereich Sozialgeschichte. Weil ich an seinem sehr guten Kurs zu handschriftlichen Quellen teilnahm und in der Zeit im Fachschaftsrat Geschichte war, schrieb ich gerne die studentische Stellungnahme für seine apl. Professur.

Meine Perspektive

Ich halte es für wichtig, Militär als bewaffnete Macht innerhalb der Gesellschaft und innerhalb des zeithistorischen Kontextes zu begreifen. Dessen Geschichte ist folglich sozial reflektiert, kritisch, interdisziplinär und mit vielfältigen Methoden aufzuarbeiten. Frieden – eine zentrale menschliche Sehnsucht, die begrifflich im universitären Kontext gerne einmal vergessen wird –, Krieg und Konflikte lassen sich nicht von politisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen, Ursachen, Handlungslogiken und verworfenen alternativen Entscheidungspfaden entkoppeln. Jedenfalls dann nicht, wenn man historische und bisweilen bis in die heutige Zeit nachwirkende Phänomene treffend erklären will.

Mit dieser Überzeugung ging ich an meine Magisterarbeit heran. Und so verstand ich auch immer den kritisch-liberalen Ansatz von Kroener und Pröve. Methodisch und konzeptionell habe ich viel von ihnen gelernt. Pröve, dessen auflockernde kritische Randbemerkungen legendär waren, entgegnete mir, als ich wegen meiner Abschlussprüfung vorstellig wurde:

Sie sind doch sozialpolitisch engagiert und kritisch… Sie brauchen etwas für die Großhirnrinde!

Und in der Tat, so ist es! Also bekam ich zusätzlich zu meinem breiten marinehistorischen Themenbereich methodisch und wissenschaftstheoretisch grundsätzliche Reflexionsaufgaben und Texte obendrauf. Eine gute und runde Sache, die mir viel gebracht hat, bereits Gelerntes festigte und neue gedankliche Verknüpfungen aufbaute.

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