Besitz schlägt Leistung: Pikettys Zaunpfahl, die Dukes of Westminster

Der Herzog von Westminster ist tot; lang vererbe sich sein Reichtum – und das privilegiert und steuerfrei? Der reichste Vertreter des Titularadels ist zugleich der drittreichste Vertreter des britischen Geldadels. Als solcher veranschaulicht er, wie man Riesenvermögen über Generationen hinweg weitestgehend steuerfrei vererbt und dem Fiskus den symbolischen Mittelfinger zeigt. Damit wird Pikettys abstrakter Forschungsbefund bestätigt, wonach Erbschaften als Einkommens- und Vermögensquelle an Bedeutung gewinnen, während Einkommen durch eigene Arbeit an Bedeutung verlieren.

»Virtus Non Stemma« in der Familie Westminster?

Mit dem Ableben von Gerald Cavendish Grosvenor (1951–2016), des 6. Herzogs von Westminster, am 9. August erklomm sein Sohn Hugh Richard Louis Grosvenor (*1991) eine der höchsten Stufen in der britischen Rangordnung. Seitdem darf er sich als »His Grace The Duke of Westminster« (»Seine Gnaden Der Herzog von Westminster«)[1] anreden lassen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist er der jüngste britische Herzog und auch generell einer der jüngsten unter den Hochadligen. Wie schon seine Eltern pflegt er ein enges Verhältnis zum Königshaus[2].

Gleichzeitig erbt der Adelsspross ein für Durchschnittsverdiener*innen kaum begreifliches Vermögen von rund 9 Milliarden GBP. Damit steigt er, und das im zarten Alter von 25 Jahren, zum drittreichsten Briten und viertjüngsten Milliardär der Welt auf. Auf der illustren Liste der reichsten Menschen der Welt, die das Wirtschaftsmagazin »Forbes« regelmäßig publiziert, belegte sein Vater mit geschätzten 13 Milliarden USD[3] zuletzt immerhin den 68. Platz.[4] In diesem Umfeld wird sich nun auch sein Erbe einordnen.

Übrigens kam der 6. Herzog von Westminster seiner Zeit mit 27 Jahren ebenfalls recht jung zu Titel, Land und Immobilienbesitz. Den hatten wiederum dessen Vorfahren über viele Generationen hinweg angehäuft, darunter die heutigen Londoner Nobelbezirke Belgravia und Mayfair.

Nein, Reichtum durch vererbten Besitz!

Die einzige Voraussetzung, um in den Genuss solcher leistungslosen Einkommen zu gelangen, stellt der pure Zufall dar, als »rechtmäßig gezeugter«[5] Stammhalter in die derzeit mit großem Abstand reichste Adelsfamilie des Vereinigten Königreiches hineingeboren worden zu sein. Selbst Spitzenverdiener*innen können ein solches Vermögen während ihres ganzen Lebens nicht anhäufen. Da können sie auch noch so hart körperlich oder geistig arbeiten. Sie werden es dadurch allein nicht schaffen. Es sei denn, sie sind eine der ganz, ganz wenigen Ausnahmen, haben Glück beim Zocken an den Finanzmärkten, eignen sich als Chefs internationaler Großkonzerne die Mehrwerte anderer Leute an oder machen zwielichtige Geschäfte wie die Autokraten rohstoffreicher Staaten.

Reichtum durch Abstammung statt durch Leistung. Ironischerweise verkehrt das den traditionellen Wappenspruch der Herzogsfamilie von Westminster in das genaue Gegenteil. Denn der propagiert »Virtus Non Stemma« – »Leistung, nicht Abstammung« mache demnach wahren Adel aus. So prangt es z. B. auch in großen Lettern an ihrem pompösen Landsitz Eaton bei Eccleston, Cheshire. Dort residieren die Grosvenors seit dem frühen 15. Jahrhundert. Sehr aufschlussreich ist in diesem Kontext ihre Selbstdarstellung im Internet. Wenngleich dort ihr Wahlspruch vorangestellt wird, so verweisen die folgenden Ausführungen nicht ohne Stolz auf die überragende Bedeutung von Besitz, Erbschaften, glücklichen Zufällen und Umständen, die in ihrer Summe zur jetzigen gesellschaftlichen Stellung und zum immensen Vermögen der Familie geführt hätten.[6]

Steuergerechtigkeit?

Hohe Erbschaften sind an sich kein Problem, wenn sie sozial gerecht besteuert werden. Das ist hier aber nicht der Fall. Der Löwenanteil des gigantischen Familienvermögens der Grosvenors wird wegen ausgeklügelter rechtlicher Konstruktionen mit Hilfe von »Trusts«[7] von Erbschaftssteuern verschont bleiben. Nur diejenigen Besitztümer, die direkt auf die Namen der einzelnen Familienangehörigen lauten und sich in deren vollständiger Verfügungsgewalt befinden, müssen versteuert werden, aber auch das nur oberhalb hoher Freibeträge.

Man muss sich einmal die Dimensionen klar machen, um die es hier geht. Müsste der 25-jährige aristokratische Milliardärserbe seine gesamte Erbschaft mit dem üblichen Steuersatz von 40 % versteuern, hätte er zwar 3,6 Milliarden GBP an die Staatskasse abführen müssen, bliebe aber immer noch der drittreichste Brite und unermesslich reich. Um ein paar recht anschauliche Vergleichsbeispiele zu haben:

  • Das gesamte Erbschaftssteueraufkommen des letzten Jahres betrug 4,7 Mrd. GBP.[8]
  • Dem nationalen Gesundheitssystem fehlen 2,5 Mrd. GBP.[9]

Was lernen wir daraus? Hohe Erbschaftssteuersätze gelten realiter eben nicht für alle. Wer hinreichend viel Vermögen und auch noch einen guten Rechtsbeistand hat, kann passende steuerliche Regelungslücken aufspüren und nutzen. Das erklärte Ziel ist dabei stets, Steuern zu vermeiden, ohne auf die Früchte seines Besitzes verzichten zu müssen. Großbritannien kennt dafür z. B. besagte »Familientrusts«, ein bei den Wohlhabenden sehr beliebtes Instrument, das auf jahrhundertealte aristokratische Rechtskonstrukte aufbaut. Und in dieser Disziplin der »Steueroptimierung«, wie es so schön verharmlosend heißt, haben es die Westminsters bis ganz nach oben geschafft. Schon für den 2. Herzog von Westminster sind entsprechende Konstrukte belegt. Fairerweise darf aber nicht vergessen werden, dass es mit dem 3. Herzog auch eine Ausnahme gab. Bei dessen Tod 1963 soll die bis dahin höchste Summe an Erbschaftssteuern fällig geworden sein.[10] Davon abgesehen ist der herzogliche Name für manch politischen Kommentator gleichbedeutend mit »Steuervermeidung«.[11]

Vermögenskonzentration und Schutz reicher Eliten

Die nahezu steuerfreie Erbschaft des jungen Herzogs führt uns die ganze Absurdität der Situation vor Augen. Auf der einen Seite soll angeblich das Geld für Schulen, Gesundheit und Soziales fehlen. Auf der anderen Seite belässt man das Geld, wo es ist, oder fasst Beschlüsse, die eher den schon Vermögenden nutzen. Seit dem Durchbruch des »neoliberalen« Dogmas fehlt in Londoner Regierungskreisen der durchschlagende politische Wille, das Problem der Vermögenskonzentration ernsthaft anzugehen. Die Einsicht in die damit verbundenen Gefahren ist seit den 1980er Jahren wohl nicht mehr vorhanden.

Reichtum konzentriert und vermehrt sich immer mehr in den Händen einer kleinen Minderheit, die sich zudem die besten Anwaltskanzleien leisten kann, damit das auch in Zukunft so bleibt. Die skizzierten Tricks und Gesetzeslücken bei der Umgehung der Erbschaftssteuer verstärken diesen Prozess nur noch. Das Gleiche trifft auf die massiven Steuersenkungen für diese vermögende Bevölkerungsklientel zu. Wie sagt der Volksmund so schön? »Wer hat, dem wird gegeben.«

Gefahr für den sozialen Frieden

Zumeist sind solche Verteilungsdebatten sehr abstrakt und akademisch. Gelegentlich lassen sie sich aber mit konkreten Gesichtern wie denen der Westminsters verbinden. Auch wenn deren Besitztümer für die allermeisten Menschen weiterhin abstrakt bleiben. Erste Rufe nach einer Reform der Erbschaftssteuergesetze, ein Schließen der Umgehungsmöglichkeiten durch »Trusts« und höhere Transparenzanforderungen für diese Rechtsform werden laut.[12]

Und wie sieht es hierzulande aus? Die Debatte des politischen Spitzenpersonals um eine »Vermögenssteuer« oder »Vermögensabgabe« ist ein reines Trauerspiel. Lediglich bei der Linkspartei ist sie neben der Parteibasis auch in der Führung konsensfähig. Durch die jüngste Erbschaftssteuer(minimierungs)novelle der »Großen Koalition« ist die Situation in Deutschland eher schlimmer als besser geworden. Dabei führt doch gerade die gültige Verfassung des Freistaates Bayern einen der wichtigsten Gründe auf, warum hohe Erbschaften hoch besteuert werden sollten: »Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen [E]inzelner zu verhindern« (Art. 123 Abs. 3). Die herrschende Mehrheit handelt jedoch nicht nach dieser Norm.

Das brisante an diesen ganzen Entwicklungen ist hingegen, dass unsere modernen »westlichen« Gesellschaften auf einer meritokratischen Weltanschauung fußen. Sie rechtfertigen soziale Ungleichheiten mit Verweis auf ein konstruiertes Leistungsprinzip. Wenn aber in der Realität bei Verteilungsfragen immer offensichtlicher wird, dass weniger »Leistung« als vielmehr umfangreicher Kapitalbesitz und letztlich auch Herkunft für das persönliche Vorankommen und den Vermögensaufbau entscheidend ist, dann birgt das enorme Sprengkräfte für den sozialen Frieden und die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaften. Prof. Thomas Piketty lässt mit seinen Forschungsergebnissen, Thesen und Lösungsvorschlägen zur ungleichen Vermögensverteilung[13] recht herzlich mit dem Zaunpfahl grüßen…

Endnoten

[1] Seine komplette Liste an Adelstiteln liest sich wie folgt: 7. Duke of Westminster, 9. Marquess of Westminster, 10. Earl Grosvenor, 10. Viscount Belgrave, of Belgrave, 10. Baron Grosvenor, of Eaton, und 16. Baronet, of Eaton. Vgl. Patrick Cracroft-Brennan (Hrsg.) (2016): s. v. Westminster, Duke of (UK, 1874). [Onl. im Int.] In: Cracroft’s Peerage, akt. Vers. v. 14.08.2016 [Abruf: 21.10.2016].

[2] Er ist einer der Taufpaten von Prinz George of Cambridge, der Nr. 3 in der britischen Thronfolge nach Prinz Charles und Prinz William. Vgl. Peter Hunt (2016): Prince George christening. Godparents announced. [Onl. im Int.] In: BBC News, 23.10.2013 [Abruf: 21.10.2016]

[3] Das entspricht in etwa 9 bis 9,5 Milliarden GBP (Stand: März 2016). Vgl. entsprechende Währungsrechner im Internet.

[4] Vgl. Forbes (2016): The World’s Billionaires. [Onl. im Int.] Jersey City (NJ): Forbes Media [Abruf: 21.10.2016].

[5] So lautet die typische Formulierung in den modernen Urkunden zur Verleihung erblicher Adelstitel im Vereinigten Königreich.

[6] Vgl. Grosvenors of Eaton (o. J.). [Onl. im Int.; Webseite] Eccleston: Grosvenor Estate, [ca. 2010] [Abruf: 21.10.2016]. Zur Familiengeschichte gibt es auch ein kleines Buch selben Titels, das ebd. bezogen werden kann.

[7] Die Dach-Organisation ist die »Grosvenor Group«.

[8] Vgl. Juliette Garside (2016): Inheritance tax. Why the new Duke of Westminster will not pay billions. [Onl. im Int.] In: The Guardian, 11.08.2016 [Abruf: 21.10.2016].

[9] Vgl. Denis Campbell (2016): NHS bosses launch »reset« plan to tackle £2.45bn deficit. In: The Guardian, 21.07.2016 [Abruf: 21.10.2016].

[10] Vgl. Hugo Greenhalgh (2016): Inheritance tax and the Dukes of Westminster. [Onl. im Int.] In: Financial Times, 10.08.2016 [Abruf: 21.10.2016].

[11] Vgl. dazu Richard Murphy (2016): Trusts keep wealth in the hands of the few. It’s time to stop this tax abuse. [Onl. im Int.] In: The Guardian, 12.08.2016 [Abruf: 21.10.2016].

[12] Vgl. Juliette Garside (2016): Duke’s £9bn inheritance prompts call for tax overhaul. [Onl. im Int.] In: The Guardian, 11.08.2016 [Abruf: 21.10.2016]; Richard Murphy (2016): a. a. O.

[13] Vgl. Thomas Piketty (2014): Das Kapital im 21. Jahrhundert. München: C. H. Beck.

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